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Sturm und Gedränge

Ein- und Ausblicke von der größten Schutzhütte des Innsbrucker Alpenvereins

Die Bergspitzen leuchten bereits golden durchs Fenster,


als ich durch das Knarren des Bodens im Gang geweckt werde. Kurz nach Sonnenaufgang. In einer Viertel Stunde gibt’s Frühstück. Ich werfe einen prüfenden Blick durch‘s Fenster und sehe eine erste Gruppe Tourengeher in Richtung der zahlreichen lohnenden Gipfel des Gebiets um die Franz-Senn Hütte aufbrechen. Die vergangene Nacht hat ein wenig Neuschnee gebracht. Der angebrochene Tag verspricht beste Bedingungen für die mehr als 80 Gäste.
Hüttenwirt Thomas Fankhauser, seine Frau und sein Team sind bereits seit einer Stunde auf den Beinen und mit dem Herrichten des Frühstücks bemüht. Brot, Käse, Wurst, Marmelade, Müsli, Kaffee, Tee. Mehr Auswahl als zu Hause. Am Buffet wird gedrängelt. Butter liegt am Boden. „Wie auf einem Schlachtfeld!“, bemerkt ein Kellner. Die Tourengeher sind ungeduldig beim Anblick des herrlichen Wetters und der frisch verschneiten Hänge. Von einem großen Kessel füllt jeder noch schnell seine Thermoskanne mit Tee auf. Manch einer kippt ein Päckchen Magnesium dazu – legales Doping.
Das Gedränge vom Buffet setzt sich im Schuhraum fort. Hier stinkt es gar nicht, wie man annehmen müsste, nach Schuhraum, denn der Pächter der Hütte hat mitgedacht. Anstatt einer Heizung die einfach die feuchte Luft erwärmt setzt er auf einen Entfeuchtungslüfter. Die schweiß-getränkte Luft gelangt so nach draußen, sodass der Gast auch durch die Nase atmen kann. 

Benannt nach Tourismuspionier Franz-Senn prägt sie seit nun mehr als 130 Jahren die Geschichte der Region. Für Bergbegeisterte ist sie beliebtes Ausflugsziel und Eldorado, für Familie Fankhauser Wohnort und Arbeitsplatz – „Griaß Enk“ auf der Franz-Sennhütte im Stubaital

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Es ist auch dafür gesorgt,

dass hier ausreichend Platz für alle ist. Mit Pickel am Rucksack, Ski in der Einen und Stecken in der anderen Hand sticht man leicht jemanden ein Auge aus. Der morgendlichen Hektik und dem Chaos entflieht man am besten wenn man schnell das Weite sucht. Davon gibt’s hier um die Franz-Sennhütte ja Gott sei Dank genügend.

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Gegen 8 Uhr vormittags, wenn die letzten Tourengeher die Schutzhütte in Richtung der umliegenden 3000er verlassen haben, wird’s dann wieder ruhiger in der Hütte. Statt dem Trampeln von Skischuhen und dem Klimpern der Karabiner an den Gurten hört man nun nur das Sausen der Besen und das emsige Gewusel der Bediensteten.

Im ersten Stock

ist Angelika beschäftigt Betten abzuziehen und die Santitärräume zu putzen. Die Berlinerin kommt schon seit Jahren jeden Winter auf die Hütte zum Arbeiten. Jeder Handgriff ist schon tausendfach geübt. Trotz dem zeitweisen Stress ist ihr die Lust am Job nicht vergangen. Sie mag die vormittägliche Ruhe, in der sie entspannt ihrer Arbeit nachgehen kann. Ob sie im Sommer auch hier auf der Hütte arbeiten werde? Da sei sie in der Schweiz als Hirtin unterwegs -  lächelt dabei.

 

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Der Computer ist längst kein Fremdgegenstand mehr.


Neben einem digitalen Buchungssystem ließ Thomas auch einen Zimmerplan programmieren – maßgeschneidert für die Hütte. „Bei mehr als 5000 Nächtigungen allein in der Wintersaison ist dies analog nicht mehr handle bar.“ Die Schwierigkeit ist jedoch, den Spagat zwischen Fortschritt und alpenländischer Authentizität zu finden. Man will den Gästen einerseits einen möglichst komfortablen Aufenthalt ermöglichen, andererseits aber nicht den Eindruck vermitteln man befände sich in einem Hotel. Dem ist nämlich nicht so. Die Franz-Sennhütte ist seit je her als alpine Schutzhütte gekennzeichnet, d.h. Gemeinschaftsduschen, Massenlager etc.


​Hier heroben muss besonders auf Effizienz geachtet werden. Tatsächlich ist Energie ein kostbares Gut auf der Hütte. Steckdosen finden sich nur vereinzelt in den Waschräumen, im Gang oder im Essbereich und sind meist mit ladenden Smartphones besetzt. WLan gibt es hier schon seit Jahren. Ich mache einen skeptischen Blick und frage Thomas, den Hüttenwirt,  ob es dies wirklich braucht? Zerstört das nicht irgendwie die gemeinschaftliche Hüttenidylle? Internet ist mittlerweile notwendig. So können Buchungen Online entgegen genommen oder Bestellungen auf der Terrasse drahtlos an die Küche gesendet werden. Für Gäste ist das WLan kostenpflichtig zugänglich. Ansonsten befindet sich ein Gemeinschaftscomputer im Erdgeschoß der vorrangig für das Abrufen der Lawinenlage und des Wetters genutzt wird. 

"In einer normalen Woche gehen da schon mal an die 7 Tonnen Lebensmitel über die Durchreiche an die Tische."

… und irgendwann in verdauter Form in den Abwasserleitungen der Hütte. Auch über dieses Geschäft muss man sich im Hochgebirge Gedanken machen. Einen Kanalanschluss hier herauf gibt es nicht. Eine Sickergrube ist bei den tausenden Gästen der Hütte auch keine Option mehr. Voller Stolz zeigt mir Thomas eine zweistufige voll biologische Kläranlage im Schuppen nebenan. Diese verfügt zudem über eine spezielle Entwässerungs- und Trocknungsanlage, die den Abfall minimiert. Die rund 5m³getrockneter Schlamm werden dann einmal jährlich mit dem Hubschrauber zur Verwertung ins Tal gebracht. Gleichzeitig werden dabei auch die 12 Tonnen Brennstoff für den Holzofen heraufgeflogen. Für sonstige Abfälle gibt es eine kleine Müllpresse. Die Pakete werden mit der Materialseilbahn ins Tal befördert. 


Für die 170 Schlafplätze der Hütte


ist Angelika nicht allein zuständig. Mittlerweile wurde die Anzahl der Betten schon verringert – der Qualität wegen. Zu Spitzenzeiten konnte die Franz-Sennhütte 220 Personen beherbergen. Doch dies ist Jahre her. Damals waren nicht mal genügend Sitzplätze in der Gaststube zur Verfügung, sodass schichtweise gegessen werden musste. Die Familie Fankhauser will dieser „Legehennenbatterie-Mentalität“ entgegenwirken und setzt auf ein wenig mehr Komfort für die Gäste. 


Derzeit sorgen 11 Bedienstete im Winter für das Wohl aller Sportler. Viele haben nicht zwingend einen Gastronomie-Hintergrund, sondern sehen den Hüttenjob mehr als Ausstieg oder Überbrückung. Wie etwa Wolfgang aus Bayern, der die letzten 7 Jahre als Zimmerer arbeitete. Ihm zur Seite steht Thomas aus Niederösterreich, ein musik-vernarrter ehemaligen Zivildiener, der in den Bergen nach Orientierung sucht. Die Küche ist im eingespielten Griff von vier Slowaken, die mit jedem Abendmenü um die Komplimente der Gäste kochen. Klara Fankhauser, die Seniorchefin, ist ebenfalls maßgeblich am guten Ruf der Küche beteiligt und legt selbst noch Hand an im Betrieb. Ich selbst durfte auch für einen halben Tag behilflich sein indem ich 50 kg Kartoffel schälte. Dabei war ich noch gesegnet, denn die Hütte war mit 80 Personen nur halb belegt. In einer normalen Woche gehen da schon mal an die 7 Tonnen Lebensmittel über die Durchreiche an die Tische. Das entspricht der Anzahl von 21 Materialseilbahnfahrten. Viele Anstrengungen sind also nötig bis die Lebensmittel im Lager der Franz-Sennhütte sind und schließlich am Teller der Gäste. 

Um die Mittagszeit herrscht Hochbetrieb in der Küche.

Am besten holt man sich aber Lageinformationen aus erster Hand vom Senior-Chef Horst Fankhauser. Der über 70-jährige geht selbst noch regelmäßig Touren im Gebiet um die Hütte. Der Vater von Thomas und ehemalige Hüttenwirt hatte immer schon einen starken Bezug zu den Bergen – auch zu den ganz hohen im Himalaya. Dort war er bereits mehr als 20 Mal unterwegs, unter anderem auch mit Alpin-Legenden wie Oswald Ölz und Wolfgang Nairz.

Zerstört das Internet nicht irgendwie die gemeinschaftliche Hüttenidylle?

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Noch schnell unter die Warmwasserdusche.


Ab 6 Uhr gibt’s dann Abendessen. Manch einer, völlig ausgebrannt von einer anstrengenden Tour, gönnt sich bereits im Vorhinein einen Apfelstrudel. In Hausschuhen und Jogginganzügen gekleidet, füllt sich allmählich die Stube mit Gästen. Ein paar Damen machen es sich um den begehrten Kachelofen mit Magazinen gemütlich. Die Gruppe des DAV unter der Führung meines Zimmergenossen und Bergführers Franz studiert bereits Kartenmaterial und plant das nächste Ziel. Als Kellner Christoph mit dem Suppentopf kommt wird hastig alles vom Tisch geräumt. Endlich. Essen.


Ich selbst sitze an einem Tisch mit einer Altherren-Gruppe aus Rosenheim. Einer von ihnen, Bierbrauer in einer der 700 Kleinbrauereien Bayerns, erklärt mir, dass 1-2 Bier am Tag gesünder seien als völlige Abstinenz. Dem will ich auf den Grund gehen. Man schläft ja auch bekanntlich besser mit ein wenig Alk im Blut. „Das Leben is hart in den Bergen“
Das gute Essen wird noch bei dem einen oder anderen Weißbier oder Gläschen Wein verdaut. Es wird geplaudert und geplant. Hinter mir ertönen im Minutentakt die kreischenden Damen-Lacher einer gemischten Gruppe aus Schweizern, Deutschen und Österreichern. „Do brauchst ja scho fast a Megafon dassd die unterhoiten kust“, stellt einer der Herren an meinem Tisch fest. 

Die ersten Tourengehen


kommen mit müdem aber zufriedenem Blick von ihren Ausflugszielen zurück. Manch einer humpelt schon in Sandalen über die Terrasse, die Blasen von den Tourenschuhen notdürftig verarztet. Anderen sieht man an der Gesichtsfarbe an, dass sie nicht so knausrig mit der Sonnencreme umgehen hätten sollen. Doch erst der Abdruck der Sonnenbrille macht den Tourengeher zum Tourengeher.

"Do brauchst ja scho fast a Megafon dassd die unterhoitn kust"

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In der Küche und in der Stube wird bereits für den kommenden Tag angerichtet. Für Thomas und sein Team ist nun bald Feierabend. Um 5 Uhr heißt es dann wieder aufstehen. Alles wieder von vorne. Bis zum Ende der Saison Anfang Mai. Dann heißt es erst mal Urlaub für die Familie Fankhauser. Nach dem Sturm die Ruhe. Der Laptop darf in dieser Zeit allerdings nicht fehlen, denn schon füllt sich der Posteingang mit Buchungen für die Sommersaison.


Auch ich begebe mich in Richtung Bett. Über den knarrenden Boden schleiche ich ins Zimmer. Franz, der Bergführer aus Bayern, kontrolliert noch sein Material für die morgige Tour. Hauptberuflich Mechaniker hat ihn die Liebe zum Skifahren zum Bergführer-Dasein bewogen. Er schimpft ein wenig über seine schwache Gruppe die er dieses Mal führen muss. „I hab heit kuan oanzige Tropfn gschwitzt“, meint er, aber schließt den Gedanken damit ab, dass es schlimmer sein könnte. Ich steh auf, dreh das Licht ab und schließe das gekippte Fenster:








"Lieber dastunkn, als dafroarn!"


© Bernhard Poscher April 2016